Standpunkte

Statement des Präsidenten

Institutionelle Kommunikation Inkompetenz in der Pandemie

Uni.-Prof. Dr. H. Dieter Dahlhoff Präsident der DWG – Deutsche Werbewissenschaftliche Gesellschaft e.V., Universität Kassel

Die DWG – Deutsche Werbewissenschaftliche Gesellschaft e.V. hat sich in den mehr als 100 Jahren seit ihrer Gründung mit Stellungnahmen und Bewertungen von kommunikativem Vorgehen und Werbekampagnen nach meiner Recherche sehr zurückgehalten. Ist dies doch die Sache von Werbepraktikern (Kreativen und Beratern). Im Zentrum der DWG-Tätigkeit stand und steht vor allem der wissenschaftliche und fachliche Austausch in Sachen werblicher Disziplin. Stellungnahmen zu und Beurteilungen einzelner Kampagnen erfolgten äußerst selten – da muss vielmehr ein außerordentlicher Grund vorliegen. Und dies ist nun im Jahr 2022 der Fall: Man könnte hier auch in aktueller Terminologie von einer Erfüllung des “Purpose“ der Organisation DWG sprechen.

Gegenwärtig geht es um ein Thema von nationaler Bedeutung und von Belang für die gesamte Bevölkerung, nämlich die Pandemie-Kommunikation. Im Brennpunkt hier nun die im Januar 2022 gestartete Kampagne „Impfen hilft. Auch allen, die du liebst“ der Bundesregierung. An dieser Stelle kann leider keine Stellungnahme zu den in den Vormonaten unter einer anderen politischen Verantwortung vom Beginn der Pandemie getroffenen Maßnahmen und den nachfolgenden kommunikativen Auftritten vorgenommen werden – sicherlich wäre hier die Beschreibung im Rahmen einer Fallstudie aufschlussreich.

 

Abb. 1: Bundeskanzler Scholz stellt am 24.01.2022 die Impfkampagne vor (Quelle: (c) picture alliance/dpa/POOL AP.)

Direkt nach dem Sichtbarwerden der ersten Anzeigenmotive dieser breit angelegten Kampagne, in die laut verschiedenen Quellen 60 Mio. Euro investiert werden, erscheinen in der Fachwelt vernichtende Beurteilungen und Kommentare von ausgewiesenen Kreativen der Agenturszene. Eine Gruppe aus der Werbewelt, zu denen der Abstand zu der Werbewissenschaft und vice versa normalerweise recht groß ist. Aber in der Sache der Impfkampagne ist die Übereinstimmung frappierend. So berichtet das Fachmagazin „Horizont“ über Thomas Rempens Beitrag „Eine staatsbürgerliche Chance versemmelt“ (2022). Rempen bezeichnet den Auftritt als „hilflos unattraktive, hässliche und absehbar unerfolgreiche Kampagne“ (2022).

Die Fachzeitschrift „Werben und Verkaufen“ gibt die Stellungnahme von Mike Kleiss am 27.01.2022 wieder, u. a. schreibt er: „Die Impfkampagne ist eine kommunikative Kapitulation“ und „Farbgebung und Anmutung haben echte Parallelen zu den Sanifair Bons“.

Auch in der Kampagnenrealisierung von „Impfen hilft“ gibt es Bemerkenswertes zu berichten. In der Pressekonferenz des Gesundheitsministeriums vom Februar 2022 fragte der Journalist Tilo Jung nach der Sinnhaftigkeit eines Einsatzes des Spots „Impfen hilft“ in den Kinos der Republik, in denen der Zugang nur für Geimpfte möglich sei. Bezeichnend die Naivität der Antwort, „Wenn wir zum Beispiel von Migranten und Migrantinnen sprechen, da gibt es immer wieder Multiplikatoren, die solche Mitteilungen dann in die Communities und Familien hineintragen“ man ginge davon aus, dass hier im Rahmen von Cross-Kommunikation die erreichten Zuschauer dann mit den Nicht-Geimpften zielführend sprechen würden.

Zur Kommunikation und Werbung der Bundesregierung in Sachen Pandemie – wohl in der federführenden Verantwortung des Ministeriums für Gesundheit – lassen sich die folgenden acht zentralen Aspekte aus den Beobachtungen der in der Öffentlichkeit sichtbaren Vorgehensweise ausmachen.

(1) Das Menschenbild vom Rezipienten

Ausgegangen wird von einem interessierten, mediennutzenden, gebildeten, verantwortlich und rational handelnden, in seiner Familie und Gemeinschaft verbundenen souveränen in der Demokratie gefestigten Bürger. Diesem Idealbild kann nur mit größter Hochachtung zugestimmt werden. Ob man es hier tatsächlich mit einem lebenden Menschen als Zielperson einer positiven Verhaltensänderung zu tun hat, bzw. welchen Anteil ein solcher Typus an der Bevölkerung hat, sei dahingestellt.

(2) Das Verständnis von Information

Dem Menschenbild ähnlich ist das Verständnis von Information; faktenbasierte, datengestützte rational begründete, eindeutige in für jedermann verständliche, in klare und eindeutige Begriffe gekleidete Elemente für eine verbale mediale und/oder zwischenmenschliche Kommunikation. Eine weitere Illusion – ungeeignet als Basis für Krisenkommunikation. Fake News bestehen in diesem Universum nicht.

(3) Die Rezeption von Adressaten/Empfängern

Die gesendete bzw. verbreitete Information wird vom Empfänger gleichermaßen aufgenommen und verarbeitet. Auf der übermittelten Daten- und Faktengrundlage. In vollem Dechiffriervermögen und inhaltlichem Verständnis und mit vollkommener Akzeptanz des Senders. Bedingtheit von Wahrnehmung und Subjektivität der Interpretation bestehen hier nicht.

(4) Die Entwicklung und Gestaltung von Botschaften

Entsprechend sind auch Botschaften vom Sender herzustellen und zu gestalten. Verbal. Focussiert. Rational. Allenfalls optimiert in Klarheit. Vielleicht noch „appellativ“. Auf jeden Fall allgemeingültig, so dass auch jeder zustimmen kann.

(5) Die Bestimmung von Zielgruppen

Die Orientierung am Menschenbild bestimmt folgerichtig die Überlegungen zur Zielgruppe. Warum auch weiter differenzieren? Sollen sich doch die möglicherweise anders Denkenden und sich abweichend verhaltenden Menschen anpassen. Oder durch eine Ansprache durch ihre Mitbürger geleitet werden. Die Fachwelt würde sich dagegen auf vorher durch beispielsweise in psychologischer Marktforschung ermittelte Insights zu Impfverweigerern beziehen. Diese liegen bekanntlich in differenzierender und erhellender Weise vor, z. B. in Form der Bücher von Klaus Schönbach (2022) oder Günter Schweiger und Gertraud Schrattenecker (2021).

(6) Der Prozess der Beauftragung

Zum Einsatz einer medialen Kommunikation bzw. Werbekampagne gehört heutzutage ein in der Fachwelt vielfach beschriebener Prozess der Beauftragung. Mit den Elementen eines Wettbewerbspitches und einem professionell erstellten Briefing. Im erörterten Fall gilt der Satz: „Garbage in, Garbage out“. Nachfolgend sind Entscheidungen auf kriterienbasierter Grundlage zu treffen. Im Bestfall auch transparent. Die Werbewelt dokumentiert hier beste Wirkungen nach mutigen Entscheidungen, die ungewöhnliche kreative Lösungen beinhalten. (Man lese hier z. B. die EFFIE-Fallstudien der letzten 40 Jahre.) Ungeeignetes Kriterium ist hier die verfolgte Maxime „Jedem wohl und keinem weh!“ Der beauftragten Agentur kann man hier keinen Vorwurf machen – Verantwortung tragen die Entscheider.

(7) Die Bestimmung der Kommunikationskanäle und Budgets

Um eine Botschaft in der heutigen Welt mit Aufmerksamkeit zu versehen und durchzusetzen, braucht es durchaus einen hohen zweistelligen Millionenbetrag – natürlich mit einer vom Umfeldrauschen differenzierten Botschaft. Die besondere Herausforderung liegt weiterhin in der Orchestrierung in den verschiedenen, vielfältigen Medien und Kanälen. Durchaus von TV-, Print- und/oder Outdoor-Medien. Aber ebenso im Internet und mit Social-Media-Kanälen wie Facebook, YouTube, TicToc, WhatsApp und von Influencern. Datenbasiert abgestimmt auf einzelne, im Verhalten sehr unterschiedliche Ziel- und Usergruppen. Die eingesetzten Mediapläne sind bisher nicht bekannt – zu hoffen ist, dass hierzu wenigstens die in der Branche reichlich vorhandene Professionalität herangezogen wurde.

(8) Die Messung des Kommunikationserfolgs

Für jede größere Kommunikationsmaßnahme gehört eine an den Zielen orientierte und auf wissenschaftlich-methodischer Grundlage von unabhängigen Forschungsgesellschaften realisierte Messung eines Kommunikationserfolgs dazu. Die Größenordnung des eingesetzten Budgets wie gerade auch die Verwendung von Steuermitteln macht dies unabdingbar. Hier liegen erhebliche Fallstricke – allein aus generellen Daten abgeleitete Sekundärergebnisse oder „pauschalisierende Zustimmungswerte“ reichen nicht aus. (Wie mit Interviewfragen: „ Fanden Sie es gut, dass auf die Impferfolge hingewiesen wurde?“) Hier kommt es auf den Einsatz der – ebenfalls in der Fachwelt umfangreich vorhandenen – Expertise an.

 

Es kann also festgestellt werden kann: Ob die Kampagne „Impfen hilft. Auch allen, die du liebst“ bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie und gerade bei der kritischen Zielgruppe der Nicht-Geimpften (Auch zu diesen unterschiedlichen Teilgruppen gibt es inzwischen detaillierte psychologische Untersuchungen.) hilft, bleibt bei dieser Vorgehensweise leider mehr als fraglich. Wissenschaftliche Erkenntnisse in großem Umfang zur „persuasiven Kommunikation“ blieben ungenutzt. Wie positiv dagegen die von der Werbeagentur Antoni (2022) gestartete vorhergehende Initiative und die Teilnahme von mehreren hundert Unternehmen das jeweilige Firmenlogo mit einer Impfaufforderung zu verbinden (Unckrich, 2022)!

Abb. 2: Die Kampagne „Brands against Corona“ der Agentur Antoni

Wie wäre es, wenn dazu Vertreter der Kommunikationswissenschaften oder gar des Kommunikationsmanagements hinzugezogen würden? Zur Planung einer wirkungsorientierter Kommunikation? Ich würde dann schon als Pandemie-gefährdeter Bürger vertrauensvoller in die Zukunft blicken. Und nicht zuletzt die Mitglieder der DWG sind zur Unterstützung bereit.

PS: Sollte aus den Folgen des Ukraine-Krieges ebenfalls eine (werbliche) Kommunikationsaufgabe in Richtung der gesamten Bevölkerung entstehen – man denke hier an Energiesparen und weiteres – dann ist Kommunikationsprofessionalität gleichermaßen gefordert!

 

Literatur

Antoni (2021). Brands against Corona. Abruf von https://antoni.de/case/150-brands-against-corona/.

Bundesregierung (22.01.2022). 5. Stellungnahme des ExpertInnenrates der Bundesregierung zu COVID-19. Zur Notwendigkeit evidenzbasierter Risiko- und Gesundheitskommunikation. Abruf von https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/2002168/ea5301f932dafa791129440858746e0a/2022-01-30-fuenfte-stellungnahme-expertenrat-data.pdf.

Rempen, T. (27.01.2022). Eine staatsbürgerliche Chance versemmelt. Abruf von https://www.horizont.net/agenturen/kommentare/neue-impfkampagne-eine-staatsbuergerliche-chance-dummbratzig-und-braesig-versemmelt-197416?crefresh=1.

Kleiß, M. (27.01.2022). „Die Impfkampagne ist eine kommunikative Kapitulation“. Abruf von https://www.wuv.de/marketing/die_impfkampagne_ist_eine_kommunikative_kapitulation.

Schönbach, K. (2022). Verkaufen, Flirten, Führen: Persuasive Kommunikation – ein Überblick. 5. Auflage. Wiesbaden. Springer VS (in Druck).

Schweiger, G., & Schrattenecker, G. (2021). Werbung. 10. Auflage. Stuttgart: utb.

Unckrich, B. (10.12.2021). #ZUSAMMENGEGENCORONA bricht Rekorde. Antoni meldet 850 weitere Unterstützer der Impfkampagne. Abruf von https://www.horizont.net/marketing/nachrichten/zusammengegencorona-bricht-rekorde-antoni-meldet-weitere-850-unterstuetzter-der-impfkampagne-196522.